Montag, 15. Januar 2007

Mut zur Sünde

Nach einer längeren Weihnachts- und Silvesterpause eröffne ich das neue Jahr wieder mit einer provokanten These.
Dass der Begriff der Sünde überholt ist, dürfte sogar schon manchen recht katholischen Leuten gedämmert sein.
Da höre ich dann Aussagen wie: "Als Mensch schafft man es halt nicht ohne Sünde zu sein". Stimmt, sonst wären die Menschen ausgestorben ;-) (Tut mir leid, ich kann einfach nicht ohne Emoticon sein.)
Ich bin der Meinung, dass mensch wohl ohne Sünde sein kann, aber daß das nicht seine Zielrichtung sein soll. Oder nicht seine alleinige. Oder zumindest nicht für jemanden, der allzu sündenfrei ist.
Ob wohl der Satz "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein" (und mache sich damit erst recht zum Sünder) - so gemeint ist? Naja, man muss ja nicht gleich Steine werfen. Vielleicht sollte der Satz sein "Wer ohne Sünde ist (und das Gefühl hat, jemanden anderen dafür zu verurteilen), soll einfach anfangen selbst zu sündigen".
Und damit meine ich jetzt nicht so sehr die von der Kirche zur Sünde gemachte Sexualität. (Obwohl dass das Witzpotentials des Artikels vielleicht heben würde ;-) - autsch, wieder eins)
Jedes Prinzip, dass wir in uns tragen, kann zum Sündenprüfstein werden - auch das Sündigen, ha.
Natürlich ist meine Idee nicht völlig neu. Ich kenne den Slogan "Mut zur Lücke" und in der Musik ist es wohl dann am besten, wenn ein vorher vom Komponisten aufgestelltes Regelwerk einfach aus heiterem Himmel gebrochen wird - manche Komponisten erklären das dann mit Gott.
Ich sage es gibt dem ganzen Sinn (sin = engl. für Sünde) und macht es sinnlich (für mich hier ein Pseudonym für geil).
Vielleicht sollte man den Ablaßhandel wieder umdrehen und für eine Sünde belohnt werden oder Leute am Scheiterhaufen verbrennen, die allzu regeltreu sind. OK, jetzt bin ich ein bisschen zu weit gegangen - das erkläre ich jetzt als meine Sünde für den heutigen Tag. Das erinnert mich an die - den Pfadfindern immer nachgesagte - tägliche Gute Tat.
oder A Day without Sin(n) is a lost day.

Nun zu meinem zweiten Thema:
Ist es erlaubt, über gestorbene Leute etwas negatives zu sagen. Mittlerweile ist die Innenministerin Prokop ja schon über 2 Wochen tot - darf ich jetzt schon pietätlos sein?
Nein, eigentlich habe ich keine negative Erfahrung mit ihr gemacht, obwohl wenn ich mich mehr mit ihrem Wirken als Politikerin beschäftigt hätte - wie der Aktivist von "Asyl in Not" - hätte ich das sicher gemacht. Ich glaube, dass sie als Politikerin schon genug Gelegenheit gegeben hat, sich über sie zu ärgern. Sicher ist es dann den Verwandten gegenüber pietätlos, kurz nach ihrem Tod dem Ärger über sie freien Lauf zu lassen. Aber ich gestehe auch den NGO-Aktivisten auch ihre Sünden zu - nein, ich fordere sie dazu auf, auch mal gemein zu sein. Warum dürfen es nur rechtsextreme Politiker und miese Zeitungen sein - die pfeifen doch auch darauf, ob die Integrität einer Familie betroffen ist, wenn sie brisante Fotos veröffentlichen.

Durch den Aufschrei des NGO-Aktivisten war meiner Meinung nach sichergestellt, dass auch die Gegnerschaft der Politik Prokops und damit der fremdenfreundlichen Menschen im allgemeinen eine Stimme bekommen hat und Frau Prokop nicht nur als "liebe und nette Politikerin" unter die Erde gelangt ist.

Anderer Meinung? Wunderbar. Die Diskussion ist eröffnet.
Wünsche angenehmen Frühling
Werner

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Um in diesem etwas mürben Blog für Remmidemmi zu sorgen, gebe ich auch meinen Senf dazu. Die Sache ist die, das was vor der Moderne (setze ich jetzt mal mit Beginn der frz. Revolution an) als (Tod)sünde galt, gilt heute als Krankheit oder Mangel - Schwermut und Trägheit zum Beispiel . Melancholie galt ja als Todsünde, weil es eine Abkehr von Gott ist.
Das liegt zum einen sicher daran, das man heute einfach mehr über diese Phänomene und ihre Entstehung weiß (durch die Psychologie, Soziologie etc.), ich glaube aber daß sich das Verhältnis des Menschen zu sich selbst so radikal geändert hat, daß das Konzept des Schuld auf sich nehmens nicht mehr funktioniert. Durch die ständige Selbstbeobachtung, durch das Betrachten seiner Selbst als "Mechanismus", was ja den modernen Menschen auszeichnet (auch das Betrachten anderer Menschen durch das Fernsehen etc. zähle ich dazu), ist es nahezu unmöglich sich als Subjekt zur Annahme von Schuld und darauffolgender Sühne zu sehen. Deshalb funktioniert auch eine zentrale Institution des Christentums nicht mehr, die Beichte, da Menschen es gewohnt sind (auch durch das hohe Wissen, das sie mittlerweile von sich selbst haben) Fehlverhalten zu erklären und nicht einfach einzugestehen und auf Gnade zu hoffen.
Wenn man z.b. Tagebuchaufzeichnungen von gebildeten Leuten des frühen 19 Jhdt. liest (und diese sind zahlreich überliefert) wundert man sich über die Distanz, mit der diese Leute über sich selbst sprechen, man spürt aber auch, das durch die heraufdräuende Moderne diese Barriere bald für immer zerschlagen sein wird.
Ich glaube, das "Böse" sofern es je existiert hat, ist durch die "Zerstreuung" der Moderne aus den Subjekten selbst ins systemische, strukturelle übertragen worden. Ich kann mich nicht erinnern, einmal einem wirklich bösen Menschen begegnet zu sein, ich habe aber oft erlebt, das durch Desinteresse, Fehlinterpretationen, einer allgemeinen Abgewandtheit den Dingen gebenüber schlechtes entstanden ist.
Im übrigen Werner, dein Schreibstil wird immer schnoddrig-peppiger.

Anonym hat gesagt…

Noch ein Nachtrag zur Todsünde Faulheit: während vor der Moderne Arbeit etwas war, das einem zwar von Entspannung abgehalten hat, aber ansonsten völlig organisch im Lebensablauf integriert war (es gab immer etwas zu tun, am Feld, im Haushalt etc) hat sich durch die extreme Arbeitsteilung und die (künstliche) Verknappung der Arbeit heute das Verhältnis völlig ungekehrt. Heute muss man Arbeit umgarnen und begehren wie eine Geliebte, und Trägheit ist eben keine Sünde mehr, sondern die Unfähigkeit sich Arbeit zu organisieren, sich in ein Wirtschaftssytem zu inegrieren, eine Unfähigkeit, die mit dem Verlust der meisten sozialen Kontakte bestraft wird - Einzelhaft!

wernitscherni hat gesagt…

Hi Messidor!

Aus ausserblogistischen Kreisen ist mir zugespielt worden, dass eben dieser Artikel von mir nur schwer verständlich sei. Aber ich muss sagen, ich bin in guter Gesellschaft, auch bei deinem Kommentar hab ich zweimal lesen müssen.
Aber nicht minder interessant und eine wertvolle Ergänzung zum Thema.

Vielleicht trotdzem nochmals zur Erklärung:
In meinem Artikel weite ich den Begriff der Sünde ein wenig aus und meine damit, das Übertreten von Regeln - vor allem den von einem selbst geschaffenen.
Dies allein ist wahrscheinlich schon ein ziemlicher Kontrast zum christlichen Konzept der Sünde, die sich ja auf Regeln bezieht, die von aussen vorgegeben sind (z.B. durch die 10 Gebote)

Zu deinem Kommentar:
Mir leuchtet deine Inkompatibilität von dem Sündenkonzept mit der Selbstreflexion völlig ein und frage mich gleichzeitig, warum dieses Konzept immer noch so viel Macht in unserer Gesellschaft ausüben kann. Ich kann nicht beurteilen, wie es für antichristlich erzogene Menschen ist. Aber von mir selbst, der ich in einer christlich progressiven Umgebung aufgewachsen bin, kann ich sagen, dass das teilweise übertriebene festhalten an Prinzipien mein Leben ziemlich heruntergebremst hat (und es gewiss immer noch tut).
Interessant ist, dass ein Regelverstoss gegen die Prinzipien - wie in alten christlichen Zeiten - immer noch mit einem Gefühl der Schuld verbunden ist. Daher habe ich das Gefühl, dass das Prinzip immer noch weiterlebt, wenn auch ein bisschen geschickter getarnt ist. Und ich wage mal zu behaupten, dass das auch für nichtchristliche Menschen funktionieren kann. Weil die christlichen Werte dann als humanistische Werte in die Gesellschaft diffundieren und dort ebenfalls mit dem Apparat der Schuld gegen das Prinzip ähnlich wie in christlichen Kreisen wirken können.
Kannst du das aus deiner Erfahrung bestätigen, messidor?
Das gemeine an diesem System ist, dass man auch nicht mehr auf Gnade hoffen kann, da für den modernen Menschen Gott bereits tot ist - also bleibt die Schuld unaufgelöst hängen.
Sogesehen kann dieses Szenario eine noch ärgere Tragik entwickeln.

Was ich bei dir noch nicht ganz verstanden habe:
Wie meinst du das mit den Tagebüchern aus dem 19.Jhd? Sowie ich dich verstanden habe, ist der Fortschritt des modernen Menschen in seiner Selbstreflexion - also in seinem Abstand zu sich selbst zu sehen. Also könnte man diese Einträge bereits als modern bezeichnen. Wo zeichnet sich dann der Unterschied zur Moderne aus?
Oder meinst du, dass die Leute im 19.Jhd zwar den Abstand aber nicht die Selbstreflexion hatten?

Was deine Einschätzung des "Bösen" betrifft, bin ich einer Meinung mit dir. Das wirklich "Böse" ist eigentlich nicht zu sehen, zumindest wenn mensch eine gewisse Nähe zu einem Menschen hergestellt hat.
Und trotzdem kommt in jedem schlechteren - und auch in vielen "guten" Filmen zumindest ein "Böser" vor.
Und die Frage ist dann noch: Ist ein Leben ohne "Gut-Böse"-Unterscheidung denkbar?

Wegen der Einzelhaft:
Ich denke, dass es gut tut, Sozialkontakte auch jenseits der Arbeit aufzubauen. Weil diese eben keinem wirtschaftlichen Interesse dienen müssen, sondern eben nur dem Interesse der beteiligten Personen an einander. Diese Interessen können sich natürlich auch verändern, aber ab einem gewissen Grad der Freundschaft ist das Interesse aneinander viel krisensicherer, denke ich.

Ich denke eher, dass die Arbeit mehr die Funktion hat, den eigenen Fähigkeiten und der eigenen Tätigkeit einen Wert zu geben, der sich dann sogar in Geld abmessen läßt, aber wohl eher am Ergebnis der eigenen Arbeit (dem Wissen, dass man was geschaffen hat und dem Lob, den die beteiligten Leuten einem übermitteln)

Wegen meines Stils: Das peppig- schnoddrig fasse ich als Kompliment auf auch wenn du es vermutlich als Kritik gemeint hast.
Ich selbst sehe diesen Blog als Raum, wo ich meinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Ich bemühe mich um einen direkten Ausdruck, dessen was mich bewegt und ärgert. Ich nutze diesen Raum um ein bisschen gemein und bissig zu sein. Etwas, dass mir sonst nicht ganz so leicht fällt. (wegen oben genannter Prinzipien)

Also - es lebe die Gemeinheit.
Lg
Werner